Als die spanische Krimi Autorin Carmen Mola bei der Preisverleihung auf die Bühne gerufen wurde, staunten Presse und Zuschauer nicht schlecht als drei Männer die Bühne betraten. Carmen Mola war der Name eines Autorenteams. Die Geschichte hinter den Vorgängen, zwischen den Zeilen, Zeitspannen in einer Erzählung, die nicht gefüllt sind, sogenannte Fenster, finde ich faszinierend. Sie regen einen an, diese Lücken zu füllen. So überlege ich mir, wie es denn auch hätte sein können. Gerade biblische Erzählungen lassen viel Raum, den man mit seinen Gedanken und Gefühlen füllen kann.
Bei der heutigen Schriftstelle aus dem Lukasevangelium musste ich an dieses Autorenteam denken. Wer war Lukas? Ich stelle es mir nicht leicht
vor, wie er an seine Aufgabe herangegangen ist. Was schreibe ich auf, was ist der Kern, was ist mir wichtig? Es geht nicht um wenig. Es geht ums Ganze, wie Gott durch seinen Sohn uns Menschen wieder gewinnt, und uns seine Gemeinschaft anbietet. Und das über den Tod hinaus. In allem ist der Evangelist Lukas bemüht, sich als zuverlässiger Verkünder der frohen Botschaft zu erweisen. Ortsangaben, Herrschaftsverhältnisse, Regionen und Personen werden angeführt um die historische Echtheit derÜberlieferungen und der Zeitverhältnisse zu belegen. Lukas beginnt seine Ausführungen mit einem Vorwort. Er reihte sich darin ein in die Zahl derer, die schon vor ihm einen Bericht über all das abfassten, was sich unter uns ereignet und erfüllt hat. Er forschte, gemäß seinen eigenen Worten, sorgfältig nach, um von der Zuverlässigkeit der Lehre zu überzeugen. Lukas war sich bewusst darüber, dass man mehr und mehr von den unmittelbaren Ereignissen vom Leben und Tod Jesu entfernt war. Immerhin haben wir schon 80 – 90 nach Christus, als er das Evangelium verfasste. So galt es die Botschaft zu bewahren und bereits gegen aufkeimende Verunsicherung und Zweifel abzusichern. Klarer, zuverlässiger Nachweis und stetiges anführen von Zeitzeugen, Namensnennungen und eingliedern in eine Tradition sollte das ermöglichen. So werden wir von Beginn an auf das öffentliche Wirken Jesu vorbereitet, welches die heutige Textstelle eröffnet. Wir werden neugierig gemacht auf die bevorstehenden großartigen Ereignisse. Das geschieht durch die Person des Johannes des Täufers, die uns parallel zu Jesus vorgestellt wird. Dies beginnt mit der Verheißung der Geburt des Johannes. Im Anschluss erfahren wir von der Verheißung der Geburt Jesu. Wie die beiden zueinander stehen werden, erfahren wir bereits in der Begegnung der Mütter, Elisabeth und Maria. Bereits hier tut sich ein Fenster auf, das meine Gedanken schweifen lässt. Maria und Elisabeth, sie sind verwandt. Sind nicht auch Johannes und Jesus zumindest weitschichtig verwandt? Kannten sie sich? Gab es spätere Besuche? Gut, die Entfernung mag etwa vier Tagesreisen zu Fuß sein. Möglich scheint es mir trotzdem.
Johannes wird geboren. Jesus wird geboren. Johannes wird erwachsen und erhält einen Auftrag in Israel aufzutreten. Wieder ein großes Fenster. Aber nun: Jesus wird geboren. Er ist der Retter. Es folgen Erweise und Bestätigungen. So z.B. Simeon wartete auf den Retter Israels. Früher würde er nicht sterben. Und als er in den Tempel ging, waren dort die Eltern mit Jesus. Und Simeon erkannte sofort, dass dies der ist, auf den er gewartet hat. Meine Augen haben das Heil gesehen, ein Licht vor allen Völkern und Herrlichkeit für dein Volk Israel, so hören wir ihn. Jesus wird außerhalb der Familie in der Öffentlichkeit erkannt. Und dann als Zwölfjähriger im Tempel, als Jesus nicht gleich von der Wallfahrt nach Jerusalem zurückkehrt, sondern im Tempel die Schrift auslegt. Großes Fenster: ein Zeitsprung. Denn von Johannes und von Jesus erfahren wir aus den Evangelien über ihre Zeit des Erwachsenwerdens nichts.Laufen die Entwicklungen bisher parallel, verzahnen sie sich mit der heutigen Schriftstelle. Johannes spricht über Jesus, indem er den Propheten Jesaja zitiert. Und Johannes hebt an wie der Prophet mit Schriftworten, die tief verankert sind im Herzen der gläubigen Juden. Räumt die Hindernisse aus dem Weg, die dem Aufscheinen der Herrlichkeit des Herrn entgegenstehen könnten. Für Johannes ist dies notwendig, denn real. Jesus ist bereits zu seinem Öffentlichen Wirken angetreten. Und Johannes weiß: Das Heil ist nahe. Umkehren und sich öffnen, duldet keinen Aufschub. Ich glaube auch, dass bereits Elisabeth dem Heranwachsenden Johannes von Jesus erzählt hat. Was sie bereits bei der ersten Begegnung mit der schwangeren Maria gespürt hat.
Diese Gedanken trage ich mit mir, als mich am letzten Sonntagvormittag im Auto, Katholische Morgenfeier, ein Satz trifft: Die Menschen warten mit Sehnsucht auf das Kommende, das anders ist, als das Jetzt. Das kennen sie sicher auch. Sie hören einen Satz, er beinhaltet nichts Neues. Aber in diesem Moment erreichen sie die Worte unmittelbar. Die Menschen warten mit Sehnsucht auf das Kommende, das anders ist, als das Jetzt. Ja genauso ist es. Herbeisehnen einer anderen Realität. Besser soll es werden, Kriege enden, Hunger aufhören, gesünder wollen wir leben, Sorgen sollen schwinden, Glück möge einkehren, Zufriedenheit uns erfüllen. Nicht nur bei mir, sondern auch für andere, für alle anderen. Passt gerade, politisch,wirtschaftlich, national und global. Dabei wissen wir, dass es darauf ankommt, welche Ziele die andere Zukunft definieren und mit welchen Mitteln man sie erreichen will. Das Kommende andere definiert sich für Oligarchen, Autokraten und Diktatoren anders als für Demokraten, Humanisten und hoffentlich auch für Christinnen und Christen. Das lässt erahnen, dass eine andere Zukunft als das Jetzt entscheidend von der inneren Haltung und dem Glauben geformt ist. Und da muss man aufpassen, denn da springt man schnell zu kurz, wenn an egoistisch wünscht. Wie die Frau aus dem Märchen vom Fischer und seiner Frau, die zuerst König, dann Kaiser und zuletzt Gott sein möchte. Sie landet am Schluss wieder da, wo ihr wünschen begonnen hat. Egoismus und Machtstreben bringt uns nicht voran. Für das Volk Israel war das erwartete Kommende, das anders ist als das Jetzt, die Erwartung des kommenden Heils. Befreiung aus dem Frondienst, der Knechtschaft, der Fremdbestimmung. Gerechtigkeit und Frieden, Schutz und Heil für das ganze Volk. Das war die Verheißung. Gott wie ein Hirte, der seine Herde sammelt und zum Wasser führt. Eines ist gewiss, vom Anfang der Geschichte Gottes mit den Menschen an:Gottes Handeln sucht die Entsprechung, die Annahme, die Aufnahme des Menschen. Keine im Leben des Menschen spürbare Veränderung ohne sein Zutun. Gott lässt uns hier nicht vom Haken. Seine Zusagen stehen — unsere Zusage und unser Zutun muss von uns aus erfolgen. So lese ich das heutige Schriftwort, die Aufforderung des Johannes, der Umkehr predigt. Er zitiert dabei aus den Schriften des Propheten Jesaja und wir sehen, dass es offensichtlich zu jeder Zeit und jeder Generation eine Aufforderung, eine Erinnerung, ja Mahnung braucht.Bereitet dem Herrn den Weg. Ebnet ihm die Straße. Jede Schlucht soll aufgefüllt werden, jeder Berg und Hügel sich senken. Diese Worte klingen für Menschen, die sich hauptsächlich zu Fuß fortbewegt hatten anders als für uns. Als Pilgerwegbegleiterin habe ich gelernt: Wenn du einen Autofahrer nach dem Weg und der Dauer der Wegstrecke fragst, ist Vorsicht geboten. Was mit dem Auto 5Minuten dauert, kann durchaus 2 Stunden für dich heißen. Wegstrecken mit Steigungen werden nicht ohne Grund mit 1,3 multipliziert. So wird aus einem Kilometer 1,3km. Den Weg bereiten heißt hier: Es kann leichter möglich sein, es geht schneller, du kannst es in der Ferne sehen, das nahende Heil, die Helfende Hand, den Beistand.
Alle Menschen werden das Heil sehen, das von Gott kommt.
Tja, da müssen wir uns fragen und das wäre eine wunderbare Gelegenheit darüber ins Gespräch zu kommen: Was soll sich denn bei mir
geradebiegen. Welche Verwerfungen in meinem Leben muss ich notwendigerweise angehen? Und da sind wir mitten im Advent angekommen. Dem Anweg zur Geburt des Retters, des Gott mit uns. Diese Zeit ist für uns da, damit wir zumindest ein wenig erneuert, quasi aufbereitet sind. Dass wir bereitet sind, wenn ER in unsere Welt kommt. Gott wird Mensch. Er ist auf dem Weg zu uns. Auf dem Weg zu mir, zu dir auf dem Weg in seine Schöpfung. Gott will in mir geboren werden. Ich will ihn in mir ankommen lassen.
Ich will ihm den Weg dafür bereiten.
Text: Frau Uhrmann-Pauli