Einführung:
Mit welcher Erwartung sind sie hierhergekommen?
Vielleicht …
- wegen der Lobpreismusik, also, um gemeinsam Gott mit Liedern und Gebeten zu loben?
- weil der Ablauf und die ganze Atmosphäre des sakralen Raumes mit Kerzen, … so ist, dass man sich entspannen kann, runterkommt?
- weil man Menschen trifft, mit denen einen der Gaube verbindet – Gemeinschaft?
- oder, weil sie ein paar Gedanken hören wollen, um geistlich aufzutanken? …
Es geht um ein ganzheitliches Erleben, mit allen Sinnen. Das alles gehört zusammen und tut der Seele gut.
Und jetzt stellen sie sich vor, sie könnten nicht hören. Wer taub ist, dem ist die Welt der Hörenden zunächst verschlossen. Er muss auf andere Weise Zugang finden. Gott sei Dank gibt es die Gehörlosensprache und technische Hilfen.
1. Gedanke
Zur Zeit Jesu bedeutete Taubheit, den Ausschluss aus der Kommunikation, auch auf geistlicher Ebene. Solch ein Mensch begegnet Jesus. Jesus sieht die Not und hilft.
Hier lohnt es sich genauer hinzuschauen auf die äußeren Umstände der Heilung:
Jesus legt seine Finger in Ohren des Tauben und gibt dann Speichel auf dessen Zunge. Damit verstößt er gegen jüdische Reinheitsvorschriften. Warum?
- Jesus spricht den Tastsinn des Tauben und Stammelnden an. Er schenkt ihm seine Berührung, begibt sich mit ihm auf eine Ebene der Wahrnehmung, die ihm zugänglich ist.
- Gebraucht Zeichen, die in der griechisch geprägten Kultur des Mittelmeerraums verstanden wurden. Es gab in der Antike Menschen, die als Wundertäter unterwegs waren. Diese bedienten sich solcher Praktiken. Jesus greift dies auf, denn er befindet sich in der „Dekapolis“. Es ist ein Gebiet von 10 Städten im Nordosten Israels, die auch von Juden, aber mehrheitlich von „Heiden“ bewohnt waren. Jesus wendet sich also bewusst auch an Heiden. Das ist keine Selbstverständlichkeit, denn eigentlich gilt das Heil Gottes allein dem Volk Israel, so die vorherrschende Lehrmeinung zeitgenössischer jüdischer Theologen. Und Jesus hielt sich daran, bis zu einer Begebenheit, die im Kapitel vorher geschildert ist. Eine Syrophönizierin, also eine Heidin spricht ihn an und bittet, dass er ihr Tochter heilen möge, die von einem Dämon besessen ist. Seine erste Reaktion ist abweisend, geradezu grob: wörtlich heißt es in Mk 7,24−30:
„Jesus aber sprach zu ihr: Lass zuvor die Kinder satt werden; denn es ist nicht recht, dass man den Kindern das Brot nehme und werfe es vor die Hunde. 28 Sie antwortete aber und sprach zu ihm: Herr, aber doch essen die Hunde unter dem Tisch von den Brosamen der Kinder. 29 Und er sprach zu ihr: Um dieses Wortes willen geh hin, der Dämon ist aus deiner Tochter ausgefahren.
Jesus erlebt hier sein eigenes Effata – Erlebnis. Eine Frau, und noch dazu eine Heidin, hat ihm die Augen geöffnet, seinen Blick geweitet. Jesus öffnet sich der neuen Erkenntnis, weil er auf das Herz und den Glauben schaut. Er lässt den Buchstaben des Gesetzes hinter sich, gewinnt eine weltweite Perspektive für seine Sendung. Und bricht dann wohl bewusst in die heidnisch geprägte Dekapolis auf, um genau das zu praktizieren, was er in dieser Situation gelernt hat. Ein bemerkenswerter Vorgang.
2. Gedanke
Das Wort Effata bedeutet „öffne dich!“ oder – wie Luther übersetzt: „tue dich auf!“ Der Taube verhält sich zunächst passiv. Er lässt sich von Menschen zu Jesus bringen. Er lässt sich von Jesus berühren. Doch dann spricht Jesu ihn an: „Effata“ – öffne dich – tue dich auf. Der Angesprochene wird aufgefordert mitzuwirken. „Komm aus dir heraus – nimm Teil am Leben – entscheide dich, für ein neues Leben.“
- Jesus handelt zuerst – aber dann ist der Mensch dran!
- Und der vormals Taube entschließt sich, die Worte Jesu in seine Ohren dringen zu lassen. Er erschließt einen neuen Erfahrungshorizont, zu dem ich bislang keinen Zugang hatte.
- Und jetzt stellen sie sich vor, Jesus steht in unserer Mitte und sagt zu ihnen: „Effata – öffne dich – tue dich auf!“
- Sicher fällt ihnen ein Lebensbereich –eine Situation ein, wo sie spüren, dass es an der Zeit ist, sich zu öffnen – sich auf neues einzulassen – Gott handeln zu lassen und dann selbst aktiv zu werden.
- Nehmen wir uns etwas Zeit zu überlegen, wie das aussehen könnte.
- STILLE -
Lassen sie mich ein aktuelles Beispiel erzählen von einem Menschen, der sich geöffnet hat, der Neues zugelassen hat – der die Dimension des christlichen Glaubens neu in sein Leben eingelassen hat:
Ich fuhr mit dem Linienbus von der Arbeit heim und kam neben einem jungen Mann mit Migrationshintergrund zu sitzen. Wir waren einander bereits beim Frisör begegnet, ich als Kunde, er als Lehrling. Ich sprach ihn auf seine Arbeit an. Er entfernte die Ohrenstöpsel und es entspann sich ein Gespräch, zunächst über seine Ausbildung zum Frisör, dann über meine Arbeit als Theologe. Mir fiel auf, dass er sehr interessiert nachfragte. Als er mich bat, ihm den Unterschied zwischen den christlichen Konfessionen: Katholizismus – Protestantismus – Orthodoxie zu erklären, war mir klar, dass er mehr wusste als die meisten Muslime. Auf meine Nachfrage schilderte er, wie er mit dem christlichen Glauben in Berührung gekommen war: „Ich ging in Passau, durch die Fußgängerzone. Da stand einer, der sprach mich an, um mit mir über die Bibel zu reden. Ich war interessiert und wir haben lange gesprochen. Dann sagte er, ich solle es einfach mal ausprobieren und zu Jesus beten. Wenn ich um etwas bitten würde, dann würde ich erhalten, um was ich bitte. Auch gab er mir eine Bibel mit. Ich probierte es aus und es passierte nichts. Also dachte ich, dass es mir nichts bringt. Ich suchte den Mann auf, um ihm seine Bibel zurückzugeben und sagte, dass das mit dem Beten bei mir nicht funktioniert. Er bot mir an, einen Segen über mich zu sprechen. Da fühlte ich tief in mir, dass es gut war. Seitdem gehe ich öfters zu den Gottesdiensten und versuche, zu beten und zu glauben. Das ist alles sehr interessant für mich!“
Ein Effata – Erlebnis, das Mut macht. Die Stimme Jesu lässt sich auch in unserer Zeit hören. Und – wenn der Geist weht, dann kann ich mich noch so unbeholfen anstellen – Gott wirkt.
3. Gedanke
Bei der Taufe vollzieht der Priester (oder Diakon) einen sogenannten „Effata-Ritus“. Stellvertretend für Jesus berührt er Ohren und Mund des Täuflings, verbunden mit dem Segenswunsch, der Täufling möge das Wort Gottes vernehmen und den Glauben im Leben bekennen.
- Ebenfalls beim Taufsakrament erfolgt eine Salbung mit Chrisam-Öl. Chrisam ist das Öl der Königssalbung. In Israel wurden damit Könige, Priester und Propheten gesalbt zum Zeichen, dass Gottes Segen auf ihnen ruht und dass sie von Gott her eine neue Autorität bekommen haben. Durch die Salbung kommt zum Ausdruck, dass wir königliche, prophetische und priesterliche Menschen sind, dass auf uns der Segen Gottes ruht. Durch die Taufe sind wir königliche Menschen geworden, die selber leben, anstatt gelebt zu werden. Wir sind Menschen mit einer unantastbaren Würde. Und im Sinne des 2. Vatikanischen Konzils, das vom „gemeinsamen Priestertum aller Gläubigen“ spricht – sind wir auch Priester. *
- Was bedeutet das für mich, wenn bei der Taufe diese Riten an mir vollzogen wurden?
- Ich denke, es ist uns eine Vollmacht gegeben, derer wir uns neu bewusstwerden dürfen.
- Abschluss
- Der Taube war nicht primär krank, weil er nicht hören konnte. Seine größte Beeinträchtigung war das Gefangensein in sich selbst. Die Aufforderung „Effata“ – öffne dich – tue dich auf holte ihn aus dem Gefängnis heraus. Er wurde aktiv.
- Jesus spricht auch zu uns sein „Effata“. Wir sind herausgefordert, dieses Frei-gesetzt-sein in allen Bereichen unseres Lebens sichtbar und hörbar werden zu lassen.
- Wir sind berufen König(in), Prophet(in) und Priester(in) zu sein.
* Biblischer Hintergrund:
„Er hat uns zu Königen gemacht und zu Priestern vor Gott seinem Vater.” (Offenbarung 1,6)
“Ihr seid eine königliche Priesterschaft.” (1 Petrus 2,9)
“Eure Söhne und Töchter werden Propheten sein.” (Joel 3,1; Apostelgeschichte 2,17)